(GERMAN) DIE WELT BRAUCHT EIN PARLAMENT
COMMENTARY ARCHIVES, 10 Jun 2009
Um in Zukunft globale Krisen zu bekämpfen, brauchen wir ein demokratisches Bindeglied zwischen der Weltbevölkerung und den globalen Institutionen
Internationale Meinungsumfragen zeigen, dass eine große Mehrheit der Menschen in allen Weltregionen die Demokratie als das beste Regierungssystem ansieht. Diese erfreuliche Entwicklung sollte unsere Aufmerksamkeit allerdings nicht davon ablenken, dass sich die Demokratie im Zuge der Globalisierung in einer strukturellen Krise befindet.
Die Herausforderungen unserer Zeit sind gewaltig. Sachverhalte, die nur auf der globalen Ebene effektiv gelöst werden können, nehmen zu, politische Regulierung ist stärker grenzüberschreitend erforderlich. Klimawandel, Umweltzerstörung, soziale Ungleichheiten, Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Bevölkerungswachstum und die wachsende Knappheit von Trinkwasser und Grundnahrungsmitteln sind nur einige der drängenden Probleme.
Ganz oben auf der Tagesordnung steht jedoch die Wirtschaftskrise, von in unserer globalisierten Welt kein Land und kein Individuum unberührt bleibt. Bei der letzten Wirtschaftskrise diesen Ausmaßes wurden soziale Turbulenzen ausgelöst und anti-demokratische Strömungen fanden starken Zulauf. Die Krise trug damals zum Aufstieg des Faschismus, dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und zum Völkermord bei. Das sollte uns immer eine Lehre bleiben.
Wenn also die Staats- und Regierungschefs der Welt im Zuge der Finanzkrise über Reformen nachdenken, sollten sie nicht aus dem Blick verlieren, wie wichtig die Stärkung der Demokratie ist. Natürlich stehen erst einmal die Stabilisierung des Finanzsystems und Linderung der Krisenfolgen im Vordergrund. Allerdings sollte die Krise auch als Gelegenheit angesehen werden, einen weitgehend ignorierten Aspekt der globalen Demokratisierung ins Blickfeld zu rücken: Die innerstaatliche Demokratie wird an Bedeutung verlieren, wenn der Prozess der Demokratisierung nicht auch auf das System der internationalen Regierungszusammenarbeit ausgeweitet wird.
Demokratische Prinzipien auf internationale Institutionen anzuwenden, muss deshalb eine wesentliche Komponente jedweder Reform der Global Governance sein. Sicherlich, es war höchste Zeit die aufstrebenden Länder des Südens in die internationalen Beratungen stärker einzubeziehen, so wie es jetzt im Rahmen der G20-Gipfel in Washington D.C. und London passiert ist. Was ich aber hier ansprechen möchte, ist nicht internationale Demokratie zwischen den Staaten der Welt. Die Reform des Sicherheitsrates beispielsweise hat Legionen von Diplomaten über Jahrzehnte beschäftigt gehalten.
Nein, im Gegensatz dazu wurde eine dritte Dimension der Demokratisierung fast vollkommen vernachlässigt: Globale Demokratie überhalb der Staaten zu entwickeln. Dieses Projekt beinhaltet die Aufgabe, den Bürgerinnen und Bürgern der Welt eine stärkere und direktere Mitsprache in globalen Angelegenheiten einzuräumen. Eine unmittelbare Verbindung zwischen den globalen Institutionen und den Menschen vor Ort muss geschaffen werden. Aber wie könnte so ein globales Projekt angegangen werden?
Ein unverzichtbares Element zu diesem Zweck ist die Etablierung einer parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen. Für dieses Ziel setzt sich eine wachsende internationale Bewegung ein. Zu den Verfechtern des Vorschlags gehören das Europäische Parlament, das Pan-Afrikanische Parlament, das Latein-Amerikanische Parlament, der Senat von Argentinien und über 700 Abgeordnete aus aller Welt.
"Eine United Nations Parliamentary Assembly (UNPA), wie die Versammlung auf englisch genannt wird, wäre ein globales Gremium, das aus gewählten Vertretern bestünde. Sie könnte die Institutionen der Global Governance mit noch nie dagewesener demokratischer Legitimität und Transparenz ausstatten. Zunächst könnte die Versammlung eine beratende Funktion einnehmen, um mit der Zeit Autorität und Befugnisse herauszubilden. Die Versammlung stünde komplementär zur Generalversammlung der Vereinten Nationen und ihre Etablierung wäre, jedenfalls im ersten Schritt, ohne eine mühsame Änderung der Charta möglich.
US-Präsident Obama hat kürzlich gesagt, dass der Mangel an Aufsicht eines der großen Probleme im internationalen Finanzsystem ist. Eine globale Parlamentarierversammlung könnte eine wichtige Rolle dabei spielen, eine echte und unabhängige Kontrolle über die Vielzahl der Institutionen im globalen System auszuüben.
In ökonomischer Hinsicht könnte ein globales Parlament die Abstimmung der Bretton-Woods-Institutionen und der Welthandelsorganisation mit der Politik fördern, wie sie innerhalb der Vereinten Nationen vereinbart wurde, insbesondere mit den Millennium-Entwicklungszielen. Die Versammlung könnte die Auswirkungen der von den internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen verfolgten Politik beobachten, etwa hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung, Nahrungsmittelversorgung, Bildung, öffentlicher Gesundheitsversorung, Menschenrechte und der Überwindung extremer Armut.
Die Einrichtung eines globalen parlamentarischen Gremiums ist natürlich eine komplexe Angelegenheit. Eines der häufigsten Argumente dagegen ist, dass die Versammlung von den Delegierten weniger großer Länder dominiert würde, noch dazu viele von ihnen undemokratische. Dank der beeindruckenden Ausbreitung der Demokratie in der Welt ist letzteres allerdings nicht mehr zutreffend. Ganz im Gegenteil, eine parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen könnte ein überaus geeignetes Werkzeug dazu sein, um nationale Demokratisierungsprozesse weiter zu fördern. Nicht zuletzt würde sie Minderheiten und oppositionellen Kräften Sitz und Stimme verleihen.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten eine Antwort auf die globale Finanzkrise, die darüber hinausgeht, schlicht die Funktionsfähigkeit des Systems und die Profite der Bankinstitute zu sichern. Sie wollen ein System, dass besser an den Belangen und Nöten der einfachen Menschen in der Welt ausgerichtet ist. Was wäre zur Förderung dieses Zieles besser geeignet, als durch eine globale parlamentarische Versammlung eine direkte demokratische Verbindung zwischen den Menschen an der Basis und den Regierungsstrukturen auf globaler Ebene zu schaffen?
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Boutros Boutros-Ghali ist Präsident des Nationalen Rates für Menschenrechte in Ägypten und ehemaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen (1992-1996)
Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Bummel
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