(Deutsch) Den Kaukasus wach küssen – Friedensbildung in einer eingefrorenen Region

ORIGINAL LANGUAGES, 26 Mar 2018

Otto Ulrich – TRANSCEND Media Service

Wilde Landschaften, reißende Gebirgsflüsse, schwindelerregende Schluchten, verschneite Pässe, unpassierbar, machen die Reise durch den Kaukasus zu einem abenteuerlichen Erlebnis, worüber uns Alexander Dumas, der 1858 dort unterwegs war, in dem heute noch immer so lesbaren Reisebericht „Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus“ erzählt.

Pre-1917 russische Postkarte der Qasara-Schlucht, Kaukasus Bild von paukrus / flickr.

Im Jahre 2000 reist Fritz Pleitgen mit einem WDR Fernsehteam auf den Spuren Alexander Dumas durch den Kaukasus und weiß in seinem ebenso lesbaren Reisebericht darzulegen, welch vielfältige, verschachtelte Region der Kaukasus ist, wie kaum eine andere auf der Erde, er  zitiert den russischen Dichter Andrej Belyj:

          „Kaukasus und Transkaukasus sind urälteste Orte der Menschheit. Mir ist klar, warum die Arche Noah hier strandete, warum die Argonauten hier hinreisten , warum Prometheus das himmlische Feuer des Wissens hierhin brachte.“

Der Südkaukasus umfasst die Länder Armenien, Georgien, Aserbeidschan, der Nordkaukasus etwa Dagestan, Tschetschenien, auch der Iran und die Türkei gehören in diese so bunte Region. Auch Abchasien, die abtrünnige, einst schönste Region am Schwarzen Meer muss dazu gezählt werden, genauso wie Ossetien, jene georgische Region, die nach dem Krieg 2008 von Russland okkupiert wurde.  Fast täglich finden deswegen kleine Grenzscharmützel statt – was symptomatisch für den gesamten Kaukasus als „gefrorene“ Region gesehen werden kann.

Der Kaukasus gilt in der medienvermittelten Perzeption in Europa, wohl auch in den USA wie in Russland, als „ständige Krisenregion“, als ein „Konflikte produzierendes Völkergemisch“ was den Blick auf die Wirklichkeit verstellt. Berichte von Blutrache, grausamen Sippenfehden, und einer viele Wirtschaftsbereiche dominierenden „kaukasischen Mafia“ runden in manchen Darstellungen ein Bild ab, das die reiche Wirklichkeit dieser Region hinter solchen Stereotypen verschwinden lässt.

Dem Wechsel der Mächte in dieser Region steht eine relativ ungebrochene innere Entwicklung gegenüber. Die Kontinuität der kaukasischen Sprachen, der vielen Völker und Stämme, auch die zumeist friedliche Tradition des Zusammenlebens des  Vielvölkergemisches sind dafür Beispiele. Dass seit 1500 Jahren praktizierte und gelebte Christentum ist auch ein Beleg dafür, wenn man von Aserbeidschan und der im Nordkaukasus gelebten reichen islamischen Tradition absieht.

Die großen Spieler in der Region sind ohne Zweifel die beiden Großmächte, USA und Russland; sicherheitspolitisch bemüht sich die EU um einen Schulterschluss mit den USA, die als Schutzmacht Georgiens im Lande präsent zu erkennen ist.

Die EU ist strategisch an einer Stabilität durch Partnerschaft interessiert, Europas Abhängigkeit von russischem Erdgas hat die Notwendigkeit weiterer politischer Initiativen in der Region vor Augen geführt. So hat der Georgienkrieg 2008 das Programm Östliche Partnerschaft gefördert, dass 2009 in Kraft trat, und Freihandel und Reiseerleichterungen zwischen der EU und Georgien geschaffen hat, aber letztlich organisatorisch und finanziell wenig Profil zulässt.

Die in der Kaukasusregion herrschende Mentalität der Konfrontation – wie Irakli Kakabadze, ein georgischer Dichter und in den USA promovierter Friedenspädagoge beklagt – wird leider wenig durch europäische Konventionen noch durch Propagierung von Menschenrechten aufgebrochen, da die Konfliktparteien von sich aus nicht in der Lage sind sich selbst und ihre mittlerweile historisch gewachsenen Vorstellungen kritisch zu hinterfragen.

Neue Ansätze sind gefragt, die eingefrorene Region zum Frieden zu erwecken, wach zu küssen. Auffällig ist, worauf Kakabadze in seiner Friedensstudie zum Aufbau von Friedenszonen in der Region verweist: Konventionelle Ansätze der Friedensbildung – Regierungen versuchen untereinander zu friedenstauglichen Kompromissen zu kommen – reichen in einer so vielschichtig verkrampften Region wie dem Kaukasus nicht aus, um die unterschiedlichen Interessen in eine friedensfördernde, gemeinsame Interessenlage zu bekommen. So sollten wohl auch die Separatisten, die Waffen- und Menschenhändler mit beachtet werden. Ein mehrdimensional ausgelegter diplomatischer Friedensprozess sollte gestartet werden (Multi Task Diplomacy).

Inspiriert durch den gewaltfreien Ansatz des norwegischen Friedensforschers und Träger des Alternativen Nobelpreises Johan Galtung wird gerade ein auf friedenspädagogischen Prinzipien aufsetzendes Friedensspiel entwickelt – wobei die Beteiligung von Friedensinitiativen aus der Region Südkaukasus von Bedeutung ist.

Hinter diesem spielpädagogischen Friedensbildungsansatz steht die von Johan Huizinga in seinem 1936 herausgegebenen, hochaktuellen Klassiker „Homo Ludens“ aufgezeigte  kulturgeschichtliche Tatsache: durch 6000 Jahre Menschheitsgeschichte war es offenbar das Spiel, das die Transformation, die Übergänge in neue Formen des Zusammenlebens, unter veränderten Rahmenbedingungen,  übend und gemeinsam spielend, zumindest erleichtert hat. An diese so starke  und unkonventionelle Tradition des Aufbaus von Friedenskapazitäten und Friedensmentalitäten versucht das Projekt: „Peace in Caucasus“ anzuknüpfen.

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Mehr dazu: Otto.ulrich@web.de – siehe auch: www.cooling-down.com

This article originally appeared on Transcend Media Service (TMS) on 26 Mar 2018.

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