(Deutsch) Musik gegen den Strom: Selbstorganisierte Praxis des Singens und Spielens

ORIGINAL LANGUAGES, 8 Jun 2015

Ariane Dettloff – Contraste

“Wer sprechen kann, kann auch singen” lautet eine Grunderkenntnis der Natural Voice-Bewegung. Die Recherche für diesen Schwerpunkt hat das mit vielen Beispielen belegt. Auch, dass eine starke Kraft im gemeinsamen Singen und Musizieren steckt. Es geht dabei um Empowerment von Individuen ebenso wie von Gruppen.

Foto: Kawaggawerk

Foto: Kawaggawerk

Singen in der Nazizeit zur Manipulation der Gefühle missbraucht wurde, galt es in der Bundesrepublik Deutschland weithin als peinlich und verschwand infolgedessen weitgehend aus unserem Alltag. Dabei wurde übersehen, dass während der NS-Herrschaft auch oppositionelles Singen eine wichtige Rolle gespielt hat. Nicht von ungefähr waren als “kommunistisch” markierte Lieder unter den Nazis verboten. Wer sie sang, pfiff oder summte, geriet in Gefahr, denunziert zu werden. Andererseits konnten solche Töne in den Gefängnissen und Konzentrationslagern als Erkennungssignale dienen. Nicht nur Diktaturen nutzen und fürchten die Macht der Musik: In den 1970er Jahren etwa durften Anti-AKW-Lieder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk der BRD nicht gespielt werden.

Dass Musik Gemeinschaften stiften und stärken kann – zu erfreulichen oder üblen Zwecken -, ist historisch vielfach belegt. Heute wird auch in alternativen Zusammenhängen hierzulande wieder zunehmend musiziert und gesungen. Zwei Kommunechöre von Longo mai aus der Provence und aus Niederkaufungen in Hessen, zwei Aktions-Orchester – aus Köln und bundesweit, ein “Offenes Singen” in Mönchengladbach sowie ein alternatives Musikfestival in Köln werden in diesem CONTRASTE-Schwerpunkt beispielhaft vorgestellt.

Dass Musik Menschen helfen kann, sich der eigenen Möglichkeiten zu vergewissern, dass freies Singen therapeutisch wirkt, hat sowohl die neurobiologische als auch die sozialpsychologische Wissenschaft festgestellt. So hat der Sozialwissenschaftler Karl Adamek herausgefunden: “Singen erfüllt lebenswichtige Funktionen. Ohne Singen kann der Mensch seine Potenziale als mitfühlendes, denkendes, kreatives und glücksfähiges Wesen nicht voll entfalten. Durch Singen stärkt der Mensch vor allem sein Mitgefühl, sein Vertrauen, seine Begeisterungsfähigkeit, seine Lebensfreude, seine Widerstandskraft und seine körperlichen und geistigen Handlungskräfte.” Unter anderem werden beim Singen die Glückshormone Serotonin und Dopamin ausgeschüttet. Das erhöht die Handlungsfähigkeit der Menschen und wirkt antidepressiv. Zugleich werden Aggressionshormone abgebaut.

Dass “Musik eine kooperative Kunst” ist, haben Contraste-Leser*innen bereits im Schwerpunkt der Mai-Ausgabe 2008 erfahren. Die Kooperation selbstorganisierter Chöre reicht über Grenzen hinweg, wie die jährlichen Treffen des Natural-Voice Practicioners Network (NVPN) in Schottlandmit rund 100 Chorleiter *innen bezeugen. Auch CONTRASTE-Schwerpunkt-Autorin Andrea Jäger ist immer wieder begeistert dabei. Musik kann darüber hinaus zur Verständigung und dem Frieden zwischen den verschiedenen Kulturen beitragen.

Was als “musikalisch” oder “unmusikalisch” gilt, unterscheidet sich nach Ort und Zeit – und Klasse. “Muss die Mehrheit “unmusikalisch” gemacht werden, damit einige wenige “musikalischer” werden können?” fragte augenzwinkernd John Blacking, britischer Sozialanthropologe und Musikethnologe.

Also: Die Musik gegen den Strom birgt ein großes Potential auch im Hinblick auf gesellschaftliche Transition.

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Submitted by TRANSCEND member Benno Fuchs.

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