(Deutsch) Johan Galtung: Mit dem IS reden
ORIGINAL LANGUAGES, 10 Apr 2017
Stefan Seidel | Der Sonntag - TRANSCEND Media Service
- April 2017 – Oft scheint militärische Gewalt alternativlos. Doch gelöst werde damit nichts, sagt Friedensforscher Johan Galtung. Er plädiert für einen anderen Umgang mit Konflikten.
Herr Professor Galtung, wir leben in unsicheren Zeiten. Terror und Kriege nehmen zu. Die Aufrüstung erscheint da nachvollziehbar, oder?
Johan Galtung: Mehr Militär könnte vielleicht vor einem Krieg abschrecken, aber wird nichts lösen oder versöhnen. Es führt höchstens zu einer gefährlichen Rüstungsspirale.
Es gibt zwei sichere und effektive Herangehensweisen an die Ursachen der gewalttätigen Konflikte, die leider zu selten genutzt werden. Das erste ist eine genaue Ermittlung der Ursachen der Konflikte, das Erkennen der widerstreitenden Ziele sowie die Suche nach Lösungen durch Harmonisierung der Ziele. Das zweite ist das Erkennen der zugrundeliegenden Traumata aus vergangenen Gewalterfahrungen und der Versuch, Versöhnung zu erwirken durch ein Verstehen dessen, was geschehen ist und was hätte getan werden können.
Welche Ursachen hat denn der »IS«-Terrorismus?
Dem liegt zugrunde das enorm umfangreiche Töten durch die »US-geführte Koalition«. Es ist zunächst notwendig, dafür um Entschuldigung zu bitten – so wie es Italien getan hat für das Töten in Libyen im Jahre 1911. Nur so können wir auf einen Weg zu Sicherheit und sogar positiven Frieden kommen.
Ist es denn aber klug, nach zivilen Konfliktlösungen zu suchen, wenn IS-Terroristen offenbar kein Interesse an solchen Wegen haben?
Doch, der »Islamische Staat« hat Interesse daran. Und es scheint so, als hätten sie bislang auch nicht Italien angegriffen. Man muss direkt mit ihnen reden, so wie ich es tue. Man sollte nicht das Bild der indirekt-westlichen, letztlich US-amerikanischen Medienberichte übernehmnen.
Welche Schritte in Richtung Frieden könnten denn gegangen werden?
Wir brauchen mehr Schritte, die auf gleichberechtigten Beziehungen basieren, auf Kooperationen zum einvernehmlichen und gleichen Nutzen und auf Empathie mit den anderen, die auf Harmonie zielt: in Paaren, in Familien, in Organisationen, in Vereinen, in Staaten. Wir müssen herauskommen aus unserem westlichen, insbesondere US-amerikanischen Blick auf uns als Führer und Einzigartige.
Wie steht es denn um die Friedensbotschaft von Jesus von Nazareth? Ist sie heute realisierbar?
Zunächst einmal war seine Friedensbotschaft nicht so klar, wenn man zum Beispiel Matthäus 10,34 anschaut, wo es heißt: »Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.« Aber vieles von dem, was er getan hat, wirkte gut unter den Menschen und zeigte die Samen des positiven Friedens.
Glauben Sie, dass die Menschen in ihrem Kern gut sind?
Ich denke, wir sind in unseren Herzen fähig zur schlimmsten Gewalt und Zerstörung und zum schönsten Miteinander. Entscheidend sind die äußeren Faktoren des Kontexts, ob es eine hierarchische oder eine gemeinschaftliche Struktur gibt und ob es eine friedliche oder eine gewaltförmige Kultur gibt. Eine enorme und negative Rolle spielen die Medien, die hauptsächlich über Gewalt berichten und deutlich weniger über Frieden, von dem sie wenig mitbekommen.
Was kann denn der Einzelne tun für eine friedlichere Welt?
Man kann in den Partnerschaften und Familien beginnen mit mehr Gleichheit, mehr Empathie. Daraus kann man lernen und dann damit fortfahren in komplexeren menschlichen Organisationsformen.
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Download PDF: Der Sonntag Galtung Interview
Tipp: Johan Galtung: 100 Lösungsansätze für Konflikte in aller Welt. Nomos 2011.
This article originally appeared on Transcend Media Service (TMS) on 10 Apr 2017.
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